Unser Hurtigruten Schiff, die MS Polarlys, liegt seit dem frühen Morgen in Harstad sicher vor Anker und kurz nach 8:00 Uhr müssen wir am Kai für unseren nächsten Ausflug «A Taste of Vesterålen» bereit stehen. Wir wussten noch nicht genau, was auf uns zukommen sollte. Aber soviel vorweg: Auch dieser Ausflug war sein Geld wert ! Harstad liegt ungefähr 250 Kilometer nördlich des Polarkreises auf der Insel Hinnøya. Die Mitternachtssonne scheint vom 23. Mai bis 19. Juli. Die Polarnachtdauert vom 19. November bis 16. Januar. Die Stadt ist das Zentrum der Erdöl und Erdgasförderung in Nordnorwegen und lebt vom Handel, den örtlichen Werften, dem Militär und der Verwaltung.
Wie immer stand unser Reisebus sowie der kundige und freundliche lokale Reiseführer am Kai bereit. Die erste Station unseres mehrstündiges Ausfluges war die evangelisch – lutheranische Kirche von Trondenes. Sie ist die nördlichste mittelalterliche Steinkirche in Norwegen. Die Fertigstellung der heutigen Kirche an dieser Stelle geht auf das Jahr 1434 zurück. Zwei ältere und nicht mehr erhaltene Kirchen standen ab dem Jahr 1250 an dieser Stelle.

Als wir den Reisebus vor der Kirche verliessen, wurde fotografiert, was das Zeug hält. Zuerst realisierte ich gar nicht, worum es ging. Aber dann wurde mir klar, dass unsere MS Polarlys gesichtet wurde, wie sie den Hafen von Harstad verliess. Das war natürlich in Ordnung, und unsere Gruppe ging nicht vergessen. Wir würden uns im Hafen von Sortland wiedersehen.

Die Kirche war im Mittelalter die zentrale Kirche für ganz Nordnorwegen und enthält eine reiche Ausstattung. Einer der Flügelaltare stammt ziemlich sicher aus einer Lübecker Werkstatt des spätgotischen Bildhauers Bernt Notke, der zu seiner Zeit einer der grössten Kunstexporteure in Nordeuropa war. Die Hansestadt Lübeck war als Oberhof für die Niederlassung der Hanse auf der Deutschen Brücke in Bergen zuständig und kontrollierte zu dieser Zeit den Handel mit Norwegen. Von Bergen aus wurde in Nordnorwegen hergestellter Stock- und Klippfisch importiert und europaweit als Fastenspeise vertrieben (Quelle: Wikipedia).

Für die Gäste der Reisegruppe wurde an diesem Sonntag morgen extra ein kleiner und kurzer Gottesdienst abgehalten. Wer wollte, konnte daran teilnehmen. Auch der Besuch des alten Friedhofs war eindrücklich und ein Sprung zurück in vergangene Zeiten. Die Grabsteine erinnern an das kärgliche Leben vor mehreren hundert Jahren hier oben im hohen Norden.


Zu Fuss ging es nun in das nahe gelegene Trondenes Historiske Senter. Dieses Museum ist absolut sehenswert. Es erklärt anhand zahlreicher Ausstellungsstücke und zeitgenössischen Darstellung die Geschichte und das Leben im Norwegen zur Zeit der Wikinger und des Mittelalters. Auch die Mythen der Samen werden gut erklärt.

Die Rahmentrommel eines samischen Schamanen bestand aus einem Holzrahmen, der mit Rentierhaut bespannt war. Auf die Rentierhaut wurden Darstellungen von Göttern und verschiedenen Mächten gemalt. Die Trommel half dem Schamanen, die Zukunft vorauszusagen. Durch Trommeln und Singen versetzte sich der Schamane in einen Zustand der Loslösung der Seele vom Körper. Dadurch konnte er Böses abwenden und Leute vor Krankheiten bewahren oder sogar vor dem Tod retten. Das Christentum erachtete solche Trommeln als Werk des Teufels. Deshalb wurden die meisten Trommeln verbrannt.


Nach diesem interessanten Besuch der Kirche und des Historischen Zentrums von Trondenes ging unsere Fahrt weiter in Richtung der Vesterålen. Diese sind eine Region und Teil einer Inselgruppe etwa 300 Kilometer nördlich des Polarkreises vor der Küste Norwegens. Sie schliesst nordöstlich an die bekanntere Region Lofoten an. Die frühesten nachweisbaren Siedlungen in Vesterålen sind etwa 6000 Jahre alt und stammen von Jägern und Sammlern, die sich in erster Linie vom Fischfang und von der Jagd ernährten. Ab der Wikingerzeit bewog der Stockfischhandel mit Bergen viele Menschen dazu, sich in der Gegend niederzulassen. Damals war der Handel nur den Handelshäusern in Bergen und Trondheim gestattet. Diese Bestimmungen wurden jedoch für Vesterålen teilweise gelockert. Dies beginnend mit der Erlaubnis zum Betrieb von Gasthäusern im Jahr 1770. Ab dem Jahr 1860 zogen die grossen Heringsschwärme viele Arbeiter aus anderen Teilen des Landes an, und die Region erfuhr eine wirtschaftliche Blütezeit.

Im oben abgebildeten Dorf tummelten sich friedlich einige Rentiere in den Vorgärten der hübschen Häuser. Die Rentiere dürfen sich frei bedienen, fressen die Blumen und ernähren sich vom Gras und anderen Leckereien. Da die Rentirere geschützt sind, haben sie nichts zu befürchten. Auch wenn ein Autofahrer ein Rentier anfährt, gerät er in Erklärungsnotstand. Es heisst also aufpassen.
Die Region bietet eine sehr abwechslungsreiche Landschaft. Die schroffen Gebirgsformationen erheben sich direkt aus dem Meer, während einsame, weisse Sandstrände eher an südliche Länder erinnern lassen. Es gibt Fjorde, Schären, Flüsse und Seen, Moore, einsame Gebirgstäler und kleine Hochebenen. Der höchste Berg der Region ist mit 1’262 m der Møysalen auf der Insel Hinnøya.
Obwohl Vesterålen auf derselben Höhe wie Grönland und nördlich von Island liegt, ist das Klima aufgrund des Golfstroms sehr mild. Kennzeichnend sind die relativ milden Winter und die nicht zu heissen Sommer.

Der Herbst ist meist sehr niederschlagsreich, die meisten Niederschläge fallen im Oktober. Der niederschlagsärmste Monat ist wiederum der Juli. Reichlich Schnee fällt von Januar bis März.
Die Vesterålen stehen in Konkurrenz zu den weitaus bekannteren Lofoten, welche bereits im Übermass touristisch erschlossen wurden. Dies führt – gemäss unserem lokalen aus Vesterålen stammenden Reiseführer – dazu, dass zahlreiche Anwohner der Lofoten ihre Ferien in den Vesterålen verbringen, um dem ungebremsten Touristenstrom auf den Lofoten zu entfliehen. Die Vesterålen gelten somit noch als eine Art Geheimtipp unter Norwegen Reisenden.
In den Fjorden können die grossen Potwale gesichtet werden und die Wälder sind im Übermass reich an leckeren Beeren und Pilzen.
In Refsnes durften wir die Fähre hinüber nach Flesnes nicht verpassen. Der Landweg hätte zuviel Zeit beansprucht, sodass die MS Polarlys nicht auf uns gewartet hätte. Alles hat bestens geklappt. Da das moderne Fährschiff in Revision war, kam ein doch eher älteres Modell zum Einsatz. Das war aber völlig egal. Es hatte sicher mehr Charme als das Moderne. An Bord wurde Kaffee und lokaler Karamel Käse offeriert.




In Flesnes nahmen wir das letzte Teilstück nach Sortland in Angriff. Auf dem Weg dorthin erklärte unser Reiseführer, weshalb die Häuser bis zu 100 Höhenmeter über der Wassergrenze gebaut wurden. Die Felder befinden sich unterhalb der Häuser und reichen bis zur Wassergrenze. Der Grund liegt in der Beschaffenheit des Bodens oberhalb der Wassergrenze. Es handelt sich dabei um äusserst nährstoffreichen ehemaligen Meeresboden. Nach der Gletscherschmelze der letzten Eiszeit erhob sich der Boden aufgrund der fehlenden Last der Eismassen in diesem Gebiet um etwa 100 Höhenmeter. Genau dieser Boden wird nun landwirtschaftlich genutzt, und die Häuser wurden oberhalb gebaut.


Wir erreichten Sortland einige Minuten früher als geplant. Wir realisierten nicht, dass unser Reiseleiter in Verbindung mit der Schiffsmannschaft war. Wir bemerkten lediglich, dass unser Reisebus vor der grossen Brücke, welche hinüber nach Sortland führt, wartete und erst nach einigen Minuten seine Fahrt fortsetzte. Doch dann wurde uns alles klar. Unter lautem Hupen und Sirenenklang der MS Polarlys kreuzten wir uns auf der Brücke. Das wurde im Schritttempo vollzogen und alle hatten ihren grossen Spass daran. Auch vom Deck aus winkten uns zahlreiche Passagiere fröhlich zu. Eine tolle Sache !

Wenig später lief die MS Polarlys im Hafen von Sortland ein. Wir gingen bei leicht einsetzendem Regen an Bord, um die Fahrt durch einsame Gegenden in Richtung Trollfjord und Svolvær fortzusetzen.
Wir verliessen nun die Vesterålen und steuerten in süd-westlicher Richtung die Lofoten an. Damit wechselte das Landschaftsbild gewaltig. Die Lofoten sind geprägt durch steil ansteigende und alpin wirkende Felswände mit schroffen Klippen und Gipfeln wogegen die Vesterålen mit ihrem waldigen und hügeligen Landwirtschaftsland eher sanft wirken. Was für ein Kontrast ! Beide Gebiete sind in ihrer Art einmalig. Die Lofoten hatten es uns aber speziell angetan. Geht es euch auch so beim Betrachten der nächsten Bilder ?

Am Ufer waren immer wieder malerische kleine Häuser und Docks zu entdecken und auf den aus den Fjorden ragenden Felsen waren kleine, wegweisende Leuchttürme postiert. Wir konnten uns nicht satt sehen.
Bei Sonnenuntergang gegen 17:00 Uhr erreichten wir wieder den Trollfjord auf unserem Weg südwärts Richtung Bergen. Es setzte leichter Regen ein. Im Vergleich zur Einfahrt in den Fjord bei Nacht (Link) konnten wir dieses mal die Details und die Nähe der senkrecht ansteigenden und drohend nahe stehenden Felswände auf uns wirken lassen. Auf den Hurtigruten Schiffen stehen erfahrene Seemänner und Seefrauen auf der Brücke. Das muss auch so sein, denn solche Fahr- und Wendemanöver wie im Trollfjord fordern alles.
Nach diesem Abstecher in den Trollfjord nahmen wir die Fahrt nach Svolvær wieder auf, dessen Hafen wir um 18:30 Uhr erreichten. Aber anstatt wie auf der Fahrt Nordwärts die köstlichen Biere der Lofotpils Brauerei (Link) zu degustieren, machte uns ein lokaler und sehr gut Deutsch sprechender Reiseführer mit der rauhen Wirklichkeit der Fischerei um die Jahrhundert-Wende vertraut. Wir besuchten kleine, originalgetreu restaurierte Fischerhütten, einen alten Gemischtwarenladen sowie die Fischtrocknungs-Anlagen. Svolvær galt damals als Zentrum der Lofotfischerei. Die Fischgründe waren monopolartig zugeteilt. Dies jedoch nicht an Fischer, sondern an ansässige und äusserst wohlhabende Geschäftsleute. Diese bauten und stellten den Fischern auch die Fischerhütten zur Verfügung, besassen die Geschäfte, in welchen die Fischer ihr Zubehör und die benötigten Lebensmittel kauften sowie die Vergnügungsstätten, in welchen sich die Fischer nach der harten und gefährlichen Arbeit vergnügen konnten. Meistens kamen drei Generationen an Fischern angereist. So versuchten Grossväter mit ihren Söhnen und Enkelsöhnen, das Geld für den Unterhalt ihrer Familien mit Fischfang zu verdienen.

Alle Ausgaben der Fischer wurden als Darlehen finanziert. Abgerechnet wurde am Schluss, das heisst, nach einer hoffentlich erfolgreich abgeschlossenen Fischerei nach dem «100 plus 20 Prinzip». Für anrechenbare 100 Kilo Fisch mussten 120 Kilo angeliefert werden. Mit dem Gegenwert der anrechenbaren 100 Kilo Fisch wurden die Schulden für Unterkunft, Entgeld für die Fangründe, Reparaturen und Lebensmittel getilgt. Es kann nicht überraschen, dass zahlreiche Fischer mit weniger Geld, als sie zu Beginn ihrer Reise auf sich trugen, zu ihren Familien zurückkehrten.
Die Fischer waren auch abhängig vom Wetter. Oftmals konnten sie mit ihren Booten aufgrund des rauhen Seegangs nicht auslaufen. Die Gefahr war viel zu hoch. Wetter-Warnsysteme gab es damals noch nicht, und so geschah es, dass an einem schönen Tag um die Jahrhundert-Wende alle Boote ausliefen, um in den reichlich gefüllten Fangründen ihr Glück zu suchen. Ein gewaltiger und nicht erwarteter Sturm zog auf und die meisten Fischer verloren auf See ihr Leben.
In den kleinen Hütten mussten rund 30 Fischer unterkommen. Geschlafen werden konnte nur sitzend. Fliessend Wasser und sanitäre Anlagen waren nicht vorhanden. Die Zustände mussten für heutige Verhältnisse unvorstellbar gewesen sein.
Sehr wenige Leute verdienten mit der Fischerei ein Vermögen. Davon zeugen heute noch im Vergleich mit den Fischerhütten prunkvolle und edel eingerichtete Bauten. Erst kürzlich wurde das ehemalige Privathaus des in diesen Tagen wohl reichsten Handelsmannes für eine Million US Dollar verkauft. Dies ist der höchste Preis, der für eine Liegenschaft in Svolvær je bezahlt wurde.
Danach besuchten wir noch ein kleines, örtliches Museum, in welchem die Gemälde des bekannten Malers aus Svolvær, Gunnar Berg, ausgestellt sind. Er malte die Landschaft der Lofoten auf eine eindrückliche Art und verstarb im jungen Alter von 30 Jahren (1863 – 1893) an Krebs. Leider war es verboten zu fotografieren. Hier aber eines seiner späten Werke (Quelle: Internet):

Die Bilder haben uns sehr gut gefallen. Sie fangen das damalige Leben auf den Lofoten auf eine eindrücklich einfache Art und ein.
Nun ging es wieder zurück auf die MS Polarlys, welche ihren Weg nach Süden in Richtung Trondheim fortsetzte. Morgen sollte eine spezielle Überraschung beim Überqueren des nördlichen Polarkreises auf uns zukommen. Doch dazu mehr im nächsten Blog.