Etwas nach 9:00 Uhr erreichten wir die Stadt Kirkenes. Doch vorher wurden wir nochmals Zeugen eines unglaublichen Sonnenaufgangs auf See. Draussen auf Deck war es bitter kalt. Das hielt wohl so gut wie alle Passagiere davon ab, den Sonnenaufgang nicht durch die Scheibe hindurch zu geniessen. Mir sollte es recht sein.


In Kirkenes konnten verschiedene Landausflüge gebucht werden. Im Winter werden auch Schlittenhunde-Fahrten oder Aufenthalte in Iglus angeboten. Wir entschieden uns für den Besuch der russischen Grenze und einer Besichtigung von Kirkenes.
Hier in Kirkenes wurden zahlreiche Passagiere, welche dir Rückreise per Flugzeug antraten, verabschiedet. Im Gegenzu dazu kamen viele neue Passagiere an Bord. Wir waren froh, dass wir beide Routen mit der MS Polarlys befahren konnten. Zahlreiche Sehenswürdigkeiten, welche man nordwärts in der dunklen Nacht passiert, werden südwärts am Tag angelaufen.
Die Polarnacht im 3’400 Einwohner zählenden Kirkenes dauert vom 27. November bis zum 16. Januar. Die Mitternachtssonne scheint vom 15. Mai bis 28. Juli. Die Durchschnittstemperaturen betragen im Januar −13 Grad Celsius und im Juli +14 Grad Celsius. Das Nordlicht kann – je nach Wetterbedingungen – von September bis März beobachtet werden. Seit 1908 ist die Stadt der nördliche Wendepunkt der Schiffe der Hurtigruten. Da der Hafen weit im Inneren des Varangerfjords liegt und nicht vom Golfstrom erreicht wird, muss der zugefrorene Fjord im Winter von Eisbrechern freigemacht werden.

Kirkenes entstand als ein Verschiffungshafen für Eisenerz. Bis zum Jahre 1996 lebten die meisten Einwohner vom Abbau des Eisenerzes. Heute ist der Haupterwerb der Einwohner von Kirkenes der Fischfang und der Dienstleistungssektor.
Der 1996 stillgelegte Eisenerz-Tagebau wurde wieder aufgenommen, die etwa acht Kilometer lange private Erzbahn zwischen Tagebau und Hafen wurde 2010 wieder eröffnet. Im Dezember 2015 jedoch wurde der Erzabbau erneut stillgelegt. Dasselbe gilt für den Eisenbahnanschluss von Kirkenes, da dieser ausschliesslich für den Gütertransport benötigt wurde.
Kirkenes und seine Umgebung ist das mit Abstand älteste Stück des europäischen Kontinentes. Durch den Fund eines 3.69 Milliarden Jahre alten Kristalles nahe Kirkenes wurde das von Forschern geschätzte Alter des Kontinents um 200 Millionen Jahre übertroffen.
Um 1900 war Kirkenes ein kleiner Ort mit einer Kirche (norwegisch «Kirke»), die 1862 auf einer Landzunge (norwegisch «Nes») erbaut wurde. Der Eisenerzabbau liess die Stadt ab 1908 wachsen.

Unser Bus mit Reiseführer stand bereit für die Fahrt an die russische Grenze. Unser deutsche Reiseführer suchte hier sein neues Glück. Hauptberuflich trainiert und betreut er hier oben im Norden Schlittenhunde. In der wärmeren Jahreszeit teilt er sein Wissen mit den zahlreichen Besuchern. Wir lernten so einiges über das heutige und frühere Verhältnis zwischen Norwegern, Schweden, Finnen und Russen. Land wurde abgetauscht, Pelztierjäger missachteten Abmachungen oder Steuern wurden über die Grenzen hinweg erhoben. Nach einer kurzen Fahrt erreichten wir die den Grenzübergang nach Russland und Murmansk.

Während des Kalten Krieges war dies neben der Grenze Türkei – Sowjetunion die einzige unmittelbare Landgrenze zwischen der NATO und der Sowjetunion und somit die einzige innerhalb Europas. Im Rahmen einer Sonderregelung, die durch das Schengener Abkommen möglich und die für Europa bisher einmalig ist, dürfen Russen und Norweger, die in einer 30-Kilometer-Zone wohnen, seit April 2010 visafrei hin und her reisen. Wir erfuhren, dass die Norweger vor allem wegen dem Alkohol Konsum in Russland davon Gebrauch machen. Im Gegenzug decken sich die Russen in Kirkenes mit Baby Windeln und anderen Pflegeprodukten ein. Dies in einem Ausmass, dass eine Obergrenze eingeführt werden musste. Ansonsten hätten die Russen wohl die Geschäfte geplündert.
Wir wurden angewiesen, die Grenze zu respektieren und den russischen Grenzwächtern nicht zu nahe zu kommen, ansonsten würde die MS Polarlys ohne uns auf ihren Rückweg nach Bergen aufbrechen. Das wollte keiner von uns. Nächster Halt war die Andersgrotta, ein Museum in einem alten Luftschutzraum aus dem 2. Weltkrieg. Die Andergrotta wurde durch die norwegischen Arbeiter der Eisenerzminen von Kirkenes erbaut. Nur sie hatten das Wissen, wie ein solcher Luftschutzraum gebaut werden konnte.

Durch seine strategische Lage wurde Kirkenes im Zweiten Weltkrieg eine stark umkämpfte Stadt an der sogenannten Eismeerfront. Die zirka 150 Kilometer Luftlinie entfernte Stadt Murmansk war der einzige Hafen im europäischen Teil der Sowjetunion, den das nationalsozialistische Deutschland nicht kontrollierte oder blockierte. Daher wurde der eisfreie Hafen von Murmansk und die von Murmansk nach Moskau führende Murmanbahn lebenswichtig für die Alliierten. Versorgungstransporte liefen von Amerika und England durch das Eismeer nach Murmansk, um die Sowjetunion vor allem mit Kriegsmaterial zu unterstützen. Die Deutschen, die Norwegen seit 1940 besetzt hatten, verlegten ab Juni 1941 zirka 30’000 Soldaten nach Kirkenes. Außerdem kam es zur Stationierung stärkerer deutscher Seestreitkräfte und eines Seefliegergeschwaders in Nordnorwegen mit Stützpunkt Kirkenes. Diese hatten die Aufgabe, die alliierten Nordmeergeleitzüge zu behindern beziehungsweise zu zerstören. Die Versuche des deutschen «Gebirgskorps Norwegen», die Stadt Murmansk zu erobern und damit die alliierte Versorgungslinie stillzulegen (Unternehmen Silberfuchs), wurden von den sowjetischen Verteidigern verhindert. Sowjetische Flugzeuge bombardierten Kirkenes Tag und Nacht. Über 1’000 Fliegeralarme und mehr als 328 Luftangriffe durch sowjetische Bomber machten Kirkenes zur meist bombardierten Stadt Norwegens (Quelle: Wikipedia).

Nach einem fürchterlichen Erschöpfungskrieg an der Lizafront (nach dem Fluss Liza auf der Halbinsel Kola), im Winter oft bei 30 bis 40 Grad unter Null und mit tausenden von gefallenen und erfrorenen Soldaten auf beiden Seiten, gelang es der Roten Armee, die deutschen Truppen zurückzuschlagen. Im Oktober 1944 befreite die Rote Armee in der Petsamo-Kirkenes-Operation die von Deutschen besetzten Städte Petsamo und Kirkenes. Vor ihrem Rückzug hatten die Deutschen bis auf 20 Häuser alle Gebäude verbrannt, die nach den sowjetischen Bombenangriffen noch übrig geblieben waren.

Während des Kalten Krieges wurde die Andergrotta weiter ausgebaut. Sanitäre Anlagen und Verstärkungen aus Beton wurden hinzugefügt. Dies mit dem Plan, einen erwarteten atomaren Anschlag der Russen überleben zu können. So, nun wenden wir uns aber wieder den schöneren Dingen als der grauenhaften Vergangenheit von Kirkenes zu.
Die MS Polarlys nahm wieder Fahrt in Richtung der Insel Magerøya auf. Früh am nächsten Morgen vor Sonnenaufgang sollten wir wiederum in Honningsvåg anlegen. Auf uns wartete der Besuch des Nordkapp. Wie wir feststellen sollten, ein wenn nicht der Höhepunkt unserer Norwegen Reise mit Hurtigruten. Doch dazu mehr im nächsten Blog.
Am Abend wurden wir wiederum kulinarisch verwöhnt. Es wurde Norwegischer Hirsch mit Cranberries zubereitet. Das Bild spricht für sich selbst.
